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Jerusalem Rundmail 4

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Shalom! Schana Tova und Chatima Tova

Lange hat es gedauert, aber nun endlich schreibe ich wieder=) Ich habe euch gerade ein gutes Jahr gewünscht (Schana Tova), vor 10 Tagen war Rosh Hashana, das Neujahrsfest der Juden. Und heute war Yom Kippur, an dem ich euch eine gute Unterschrift wünsche. Heute ist der Versöhnungstag, der heiligste jüdische Feiertag von allen. Und wie es nun einmal hier so ist: je bedeutender der Feiertag ist, desto weniger darf man, desto strenger sind die Gebote, desto mehr wird gebetet. Die Juden beten den ganzen Tag… Aber ich habe solidarisch mitgelitten, ich habe nämlich, gemäß der Vorschriften gefastet. Kein Essen, kein Trinken, kein Schmuck, keine Schminke, nicht waschen (außer das minimalste wegen der Hygiene – man soll im möglichst naturbelassenem Zustand ohne jegliche Eitelkeit am Versöhnungstag vor den Herrn treten), kein Leder tragen und kein Geschlechtsverkehr haben. Gerne wäre ich sogar in die Synagoge gegangen (aber das dann nicht den ganzen Tag), aber ich musste ja arbeiten. Ich habe sogar meine Mittagspause durchgemacht, weil sonst hätten wir über Mittag schließen müssen. Ich habe nämlich heute mit Pater Jonas gearbeitet, weil die beiden Männer beide in Bethlehem wohnen und heute alle Straßen blockiert sind, deswegen konnten die nicht kommen. Es war trotzdem tierisch voll und Pater Jonas hatte keine Ahnung….ich war also im Endeffekt ziemlich allein. Aber bei dem Stress hatte ich also auch keine Zeit, Hunger zu haben – Das habe ich mir wesentlich schlimmer vorgestellt, über Mittag hatte ich schon Hunger, aber dann war es auch bald vorbei. Schlimmer war der Durst. Vor allem, wenn man die ganze Zeit leckere Getränke vor sich hat…. aber das nichts essen hat mir nicht soviel ausgemacht, wie ich eigentlich dachte. Waren dann nach Arbeitsende (was viel zu spät war, weil Pater Jonas dann gegangen ist und ich ganz alleine aufräumen und saubermachen musste…was sich dann seeeehr lange hingezogen hat.. naja die 1,5 Überstunden geh ich dann irgendwann mal eher..) an der Klagemauer zum Fastenbrechen, da gab es dann Getränke und Gebäck für alle. Oder zumindest für die Juden, aber wir waren so koscher gekleidet, dass es gar nicht aufgefallen ist. War sehr voll dort und alle haben sich auf das Essen und das Trinken gestürzt. Aber kein Wunder, war schon ein anstrengender Tag. So, das war heute.

Seit der letzten Rundmail hat sich bis jetzt einiges ereignet, wo soll ich anfangen…achja, erst einmal möchte ich zwei neue Leute vorstellen, die hier dazugekommen sind ins Dormitio-Team. Zuerst (Lady’s first) Heike, die ist jetzt neue Volontärin hier. 23, nett, aber relativ still. Mehr kann ich nicht zur ihr sagen, sie ist halt sehr unauffällig. Aber trotzdem nett. Und dann natürlich Jack, mein Habibi=) Das ist echt der lustigste Mensch, den ich kenne. Er lacht den ganzen Tag, wirklich! Hat nie schlechte Laune, ist nie unfreundlich, meckert nie über irgendwas, und selbst wenn, dann lacht er dabei=) Zuerst dachte ich, er lacht mich immer aus, aber er hat mir ausführlich seine Lebenstheorie erklärt und seitdem weiß ich, dass er einfach nur eine sehr positive Einstellung hat. Echt ein prima Kerl. Er war jetzt irgendwie 2 Monate für irgendein Praktikum in Deutschland und ist seit ca. 2 Wochen wieder hier, aber wir sprechen meistens Englisch. Er raucht ständig und seine Haare sind wie Beton mit dem ganzen Gel, aber ist ansonsten echt super. Typisch Araber, soweit ich das sagen kann. Ich muss sagen, dass ich mit ihm momentan am liebsten arbeite, weil wir sind die ganze Zeit nur am quatschen, lachen und rumalbern sind, da geht die Arbeitszeit superschnell vorbei. Ich glaub, wenn man lernen will, lockerer zu werden und alles ein bisschen weniger ernst zu nehmen, dann sollte man Jack kennenlernen. Er guckt einen immer so mit seinen kindlichen Augen an mit einem Hundeblick, da muss man ihn einfach ins Herz schließen. Obwohl….gestern musste ich ihm erklären, was „fies“ bedeutet, weil er mich die ganze Zeit aufgezogen hat wegen des neuen Mitarbeiter-Shirt, wobei er wohl vergessen hat, dass er das auch bekommt…. ja, das muss ich euch ja erzählen. Wir haben jetzt Staff – Shirts bekommen à grellgelb, superhässlich, halb durchsichtig (!) und auf Männerkörper abgestimmt…. Blöderweise bin ich die einzige, die bis jetzt eines bekommen hat… Das sieht so furchtbar aus, wie ein Sack. Da sieht man echt, dass das ein Mann bestellt hat… Vor allem kam Pater Jonas mit einem XL-shirt an und als ich gesagt hab, das mir das wohl nicht passen wird, hat er ganz erstaunt gefragt, ob ich L oder M brauche… na ja, aber das M ist ein Männer-M und kleiner gibt es nicht… Ich muss euch dringend mal ein Photo schicken… Wir bekommen sogar zwei, sodass man immer eins hat, wenn das andere in der Wäsche ist…. juhuuuu. Aber solange keiner von den anderen eins hat, trag ich meins auch nicht.

Zu den Mönchen: Ich habe ja noch Pater Johannes vergessen, der ist absolut super. Im Moment ist er wieder nicht da, er war nur für zwei Wochen hier leider… er ist Slowake, spricht aber so gut wie perfekt Deutsch und dazu noch etliche andere Sprachen. Auch noch sehr jung und mit dem kann bzw. konnte man sich auch unheimlich gut unterhalten. Bei ihm hatte man wirklich das Gefühl, dass er sich nicht als Mönch fühlt, der mit einer ihm unterstehenden und geistig unterlegenden Volontärin spricht, sondern mit einer ebenbürtigen Person. Zwar ist das bei den anderen Mönchen auch so, aber bei ihm merkt man das ganz besonders, dass er sich sehr für einen interessiert und auch Wert auf die Meinung von anderen legt, egal von wem. Was ich ganz besonders toll fand, war folgendes: Gespräch beim Büffet am Donnerstag: Er: „Na ich will mich mal zu dir setzen, ein junges Gemüt und ein junger Geist tut einem alten Mönch bestimmt gut (nebenbei…der ist vielleicht gerade mal 30..)“ Ich: „Mit dem Geist eines Mönches will ich mich mal lieber nicht messen.“ Er: „Der Geist Gottes ist überall, in dir genauso wie in mir.“ Das fand ich sehr beeindruckend. Schade, dass er jetzt weg ist, ich hoffe, er kommt bald wieder.

Und jetzt muss ich eigentlich Nana und Sliman und Immadched & Lucy (ich weiß nicht genau, wie sie geschrieben wird aber so ähnlich glaube ich) auch noch erwähnen, unser Küchen-bzw. Putzpersonal. Nana backt den besten Kuchen, den es gibt. Sliman ist unser Koch, der ist wohl auch ein echt cooler Typ, aber habe leider nicht viel mit ihm zu tun, hab ihn auch nur einmal gesehen, aber Richard erzählt immer viel von ihm, weil er ja mit in der Küche hilft. Immadched und Lucy sind Putzfrauen und immer sehr sehr freundlich. Aber wie gesagt, so oft sehe ich die alle nicht. Lucy ist süß, sie macht die Wäsche und putzt, schenkt mir immer massenweise (grauenhafte) Kaugummis.

So jetzt aber zu meinen Erlebnissen… Vor zwei Wochen waren wir am Toten Meer (wer diesmal wissen will, wer „wir“ sind, muss bei meinen neuen Bildern in StudiVZ gucken, diesmal waren wir schon ein paar mehr…aber lohnt sich auch so, mal die Bilder anzuschauen.) Sind abends relativ spät hier in Jerusalem losgefahren, da wars hier richtig frisch und wir hatten schon Angst, dass wir nicht genug Decken mit hatten, weil wir am Strand übernachten wollten, aber als wir dann gegen 22Uhr am Toten Meer aus dem Bus gestiegen sind, kam uns ne richtig schöne Wärmewolke entgegen. Die Nacht war so angenehm warm, wir haben nachts sogar noch im toten Meer gebadet- über uns der Sternenhimmel, war echt traumhaft, auch wenn das Salz in sämtlichen Wunden gebrannt hat… Aber war sehr schön. Und am nächsten Morgen hatten wir einen wunderwunderschönen Sonnenaufgang, direkt über dem Meer mit einer dekorativen Wolke… echt toll. Aber so warm die Nacht war – dementsprechend heiß war es dann auch am nächsten Tag… da sind wir dann in den Nationalpark in En Gedi gegangen, welcher wirklich sehr hübsch war, aber eben sehr heiß. Gut, dass da überall so Wasserfälle mit kleinen Pools waren, in denen man baden konnte. Und auch sonst war die Landschaft wunderschön, man konnte dann auf diesen recht steilen Berg steigen und hatte eine wunderbare Aussicht aufs Tote Meer. Wie gesagt, es lohnt sich mal wieder, meine Bilder im StudiVZ anzusehen. Also das war ein sehr gelungener Ausflug. Achja, was ich vergessen habe zu erzählen…der Sonntag davor:

Abenteuer Weinberg. In der Westbank, ziemlich schwer zu erreichen, man muss viel bergauf laufen, liegt „Daher’s Weinberg“, ein Berg, der eigentlich nutzlos ist und nur bewirtschaftet ist, damit er nicht enteignet wird. Es gibt dort ein Pferd, welches angeblich schwanger ist und daher zu nichts gebraucht werden kann, einen Esel, der zu jung ist, um etwas zu tragen, Hühner, die keine Eier legen und Ziegen, die auch zu nichts nutze sind. Wein gibt es schon gleich gar nicht, es heißt nur Weinberg. Man hat ringsherum ganz viele kleine Siedlungen (…) und das Beste, was man darüber sagen kann, ist: das sieht besonders nachts sehr schön aus. Aber das Leben dort ist sehr sehr sehr einfach. Zwei Zivis von unserer Organisation (die sich aber blöderweise absolut nicht ausstehen können und in einem Zimmer zusammen leben..) sind dort und den einen (den netten..) namens Fabian haben wir besucht und einen Tag mitgearbeitet. Das ist echt harte Arbeit. Sehr schwere körperliche Arbeit. „Männerarbeit“. Ich hatte am Tag danach einen Horrormuskelkater und zwei riesige blaue Flecken auf meinen Oberarmen, weil eine Sackkarre mit einer sehr schweren Tonne, die ich versucht habe, auf dem Geröll, was ein Weg sein sollte, von A nach B zu schieben, genau auf mich draufgefallen ist… ich durfte dann eine Woche oder so im Kloster nichts mehr mit kurzen Ärmeln tragen, weil dann die Touris denken könnten, ich werde im Kloster geschlagen.. Langarmshirts bei über 30Grad, super. Naja jedenfalls war die Arbeit sehr anstrengend. Eben echt landwirtschaftlich hart. Es gibt auch interessante Photos, wo ich mich abrackere und Richard oder Fabian daneben stehen und zugucken.. Aber trotzdem ist der Weinberg sehr schön. Wir haben ein Chamäleon gefunden, mit dem wir dann dessen Stärke getestet haben. Es konnte mit den Hinterbeinen an der Hand festgeklammert doch tatsächlich einen ca. 5cm großen Stein mit den Vorderfüßchen hochheben.. echt erstaunlich. Aber das Leben auf dem Weinberg ist halt wie gesagt sehr einfach. Das Essen besteht immer nur aus Pita mit Tomaten-oder wahlweise Zwiebelsalat, Auberginen und Paprika…nicht viel mehr. Duschen können die auch echt wenig, weil immer zu wenig aufgefangenes Regenwasser da ist.. und Strom haben sie, wenn überhaupt, auch nur 2 Std. am Tag. Eben sehr einfach. Also ein Jahr würde ich da nicht gerne bleiben, aber es war trotzdem sehr schön, mal da gewesen zu sein. Der Weinberg hat mehr eine symbolische Funktion. Um den gesamten Berg herum sind jüdische Siedlungen und der Hügel muss wohl irgendwie bewirtschaftet werden, damit er dem Besitzer (Daher) nicht weggenommen wird. Deswegen schickt der DVHL dort immer zwei Zivis hin, die das karge Land da oben irgendwie bearbeiten, ohne aber wirklich etwas voranzubringen.

So und letztes Wochenende, da waren wir finally in Yad Vashem. Viel kann ich dazu nicht schreiben, man muss selber mal hingehen. Es ist auf jeden Fall sehr beeindruckend und bewegend, gerade natürlich als Deutsche. Eine eigentümliche Atmosphäre, von wohlfühlen kann keine Rede sein, aber ich denke, es ist gut, dort einmal hinzugehen.

Achja VIELEN Dank für die Glückwünsche und Geschenke zu meinem Geburtstag! Obwohl ich arbeiten musste, war es trotzdem ein sehr schöner Tag, aber das ist hier sowieso fast jeder Tag. Ich habe sogar eine sehr schöne Kerze (natürlich handgemacht von Pater Bernhard-Maria) von den Mönchen bekommen. Pater Vinzent (der Franzose) hat Pater Jonas gefragt, wie alt ich geworden bin. P. Jonas: „Jetzt ein Jahr älter als 18.“ P. Vinzent: „Ah 15.“ Soviel dazu..;)

Ach ne, ich sehe gerade, ich habe Pater Bernhard Maria vergessen.. ich sollte mich schämen. P. Bernhard-Maria ist auch ein sehr sehr Lieber, auch ein Pole und unheimlich niedlich und freundlich und interessant. So langsam werde ich warm mit den meisten Mönchen. Es ist nicht leicht, sich daran zu gewöhnen, dass man keine seltsamen Gestalten vor sich hat, sondern genauso Menschen und vor allem, dass man ihnen ihre Fehler wie allen anderen auch zusteht und nicht erwartet, sie wären Übermenschen. Langsam beginnt auch das Kloster als religiöser Ort auf mich zu wirken. Ich lerne unheimlich viel, durch Gespräche, Erlebnisse, aber auch durch die Regelmäßigkeit, die immer wiederkehrende Gebete, das monastische Leben wird oft als Gottsuche bezeichnet, und dass man, wenn man hier eine Weile lebt, nach einer Zeit sich selber (gewollt oder ungewollt) auf einer Suche befindet, dem kann man glaube ich nicht entrinnen.

So, jetzt bin ich schon wieder bei vier Seiten…. übrigens, ich will keine Beschwerden mehr hören, dass ich keine individuellen Mails schreibe bzw. nur sehr wenige. Ich gebe mir Mühe mit den Rundbriefen und würde sowieso allen ungefähr das Gleiche schreiben. Von daher.. es ist nicht so einfach, hier mal Zeit zu finden, in Ruhe Berichte zu schreiben, also ich hoffe, ihr wisst das zu schätzen.

Bis später.

P.s. Am Sonntag geht’s aufs Oktoberfest in Taybeh….

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