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Ein Windhauch

Himmel Wolken Fotografie Photography Horizont aus dem Flugzeug

Folgende Kurzgeschichte vom Windhauch, oder vielleicht würde ich es fast ein Märchen oder eine Fabel nennen, entsprang dem Gedanken daran, wie viele Menschen sich nutz- oder wertlos fühlen. Der Großteil der Menschen wird kaum über ihren engsten Familien- und Freundeskreis hinaus beachtet und vergleicht sich allzu oft mit den großen Persönlichkeiten unserer (und vergangener) Zeit, die Großes leisten und für lange Zeit im Gedächtnis der Menschheit bleiben werden. Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch etwas Wertvolles in seinem Leben tut und beiträgt, ungeahnt dessen, ob Andere es wahrnehmen oder nicht. Viel Freude mit dieser kleinen Geschichte, die von genau diesem Grundgedanken erzählt:

Die Mächte des Windes sausten durch die Weiten des Himmels und maßen ihre Kräfte. Der Tornado sauste umher und prahlte mit beißender Stimme: 

Ich kann Bäume entwurzeln und Häuser zerstören. Lang und schlank wüste ich durch die Menschenwelt und wenn es mir beliebt, zerstöre ich die stärksten Mauern. 

Der Hurrikan lachte und das Himmelszelt erbebte. Er umkreiste den Tornado und grölte: 

Du Wicht, Du bist so klein, die Menschen sind geschickt und können Dir ausweichen. Ich hingegen kann das Meer für mich gewinnen und es über das Land und die Menschen tosen lassen, sodass über weite Flächen kein Stein auf dem anderen und kein Baum oder Mensch mehr steht. 

Der Tornado ließ sich nicht einschüchtern: 

Ich kann überall sein, dein Einfluss ist begrenzt. Weiter in den Norden, in den Teil, den sie Europa nennen, oder nach Russland, reicht Dein Atem nicht. Oder hin zu den amerikanischen Staaten, wo viel Wohlstand herrscht und wo es viel zu zerstören gibt, reicht Deine Kraft nicht. Ich kann über weite Flächen reisen, ohne meine Stärke zu verlieren.

 

Meine Brüder und Schwestern,

schritt der Hurrikan gefährlich brodelnd ein,

haben auch schon die Zivilisationen erreicht, die du nennst. Die Menschen geben uns Namen, so groß und furchteinflößend sind wir!

Der Tornado lachte und alles erzitterte wie vom Strom geschlagen: 

Sie geben euch Namen und geben euch damit eine Seele. Wir wissen, dass alles, was die Menschen mit einem Namen versehen, zu ihnen gehört und die unbegreiflichen Mächte, zu denen wir gehören, verlässt. Indem sie euch einen Namen geben, machen sie euch zu menschlichen Kreaturen. Bis vor gar nicht langer Zeit gaben sie euch nur Namen, die dem weiblichen Geschlecht ihrer Spezies gegeben werden – sie nennen es das schwache Geschlecht. Siehst Du, wie die Menschen Dich verhöhnen? Ich bleibe das unnennbare Monster, das kommt und geht, wie es mir beliebt.

Der Hurrikan brauste auf und setzte zu einem Gegenschlag an:

DU WAGST ES…

Doch der kleine Windhauch, der die Diskussion aus sicherer Entfernung belauscht hatte, schwebte davon. Er fürchtete, im Brausen unterzugehen, das sich bei einer Eskalation des Streits ergeben würde. Traurig flog er durch die Weiten des Himmels und schämte sich seiner schmächtigen Gestalt. Er fragte sich, warum er derart nutz- und kraftlos geschaffen wurde. Er schaffte es nicht einmal, die schweren Wolken zu durchbrechen. Sie ließen ihn nicht und lachten über seine kümmerlichen Versuche, näher zur Erde zu gelangen.

Im Gegensatz zu den Mächtigsten der Winde mochte er das Menschenreich, er zog gern über Wiesen und Wälder und schaute sich die Menschen aus der Nähe an. Hin und wieder wagte er ein Spielchen und umsäuselte ihr Haupt, wobei er sich in Acht nehmen musste, besonders vor den weiblichen Wesen. In deren langem Haar drohte er sich oft zu verfangen, wenn sie sich gar zu schnell drehten. Dieses Mal musste er lange umherziehen, bis die Wolkendecke ein Ende fand und er weiter nach unten fliegen  konnte. Lediglich ein paar kleine Schäfchenwolken winkten ihm zu – lachten auch sie ihn aus? -, selbst gegen sie würde er zugrunde gehen.

Schwermütig zog der Windhauch über ein Waldgebiet und begleitete einen Vogelschwarm ein Stück. Er berichtete ihnen vom Streit des Tornados und des Hurrikans. Die Vögel lachten ihn aus:

Wir haben keine Angst vor den Stürmen, wir können sie lange vorhersehen, sie wissen kaum, dass es uns gibt. Aber vor dir brauchen wir nicht flüchten, wir könnten dich zerreißen, wenn du uns im Weg bist. Du bist ja sogar schwächer als die Regentropfen.  

Wie recht sie haben, seufzte der kleine Windhauch und ließ sich gedankenverloren zwischen die Bäume sinken. Vorsichtig, damit kein Ast ihn zerriss. Aber die Bäume waren immer gut zu ihm, ihre Blätter mochten ihn und manchmal durfte er mit ihnen spielen und sie zu Boden tragen. 

Plötzlich war er bei einem Menschenpaar gelandet, welches auf dem weichen Moos saß. Gedankenverloren war er zu nah an die Frau heran gesunken und sah schon ihre rotblonden Locken nach ihm schlagen. Blitzschnell wich er ihnen aus, sauste am Gesicht des Mannes vorbei und brachte sich in Sicherheit. 

Wahrlich, seufzte er erneut, ich bin die schwächste aller Kräfte, niemand sonst muss in der Nähe der Menschen Angst haben, von ihren Bewegungen zerstreut zu werden. Keiner sonst wird von den Wolken verlacht und von den Vögeln verspottet. Was bin ich doch nutzlos und elend! Ich habe keinen Platz in dieser Welt. 

Ohne Abschied von Erde und Himmel löste er sich in Luft auf und ward nie mehr gesehen. 

Er ahnte nicht, dass der Mann, dessen Gestalt er zuletzt berührt hatte, im selben Augenblick mit flinken Finger folgende Zeilen auf ein Blatt Papier schrieb:

„Oh süßer Windhauch, der Du mich mit dem Duft meiner Geliebten küsst…

der du mir ihre Haarsträhnen zuspielst….

dass Du sie mich nie vergessen lässt…“

Diese Zeilen waren sicher nicht der Beginn eines der größten Werke der Poesie in den Schätzen des Menschenreichs. Aber hätte der Windhauch gewusst, an welch großer Liebe er beteiligt gewesen war und welche große Macht die Liebe, an der er Anteil genommen hatte, besaß – eine Macht, die die zerstörerische Kraft der großen Stürme des Himmels bei weitem überschritt – er hätte sich mit Freude krönen dürfen. So aber blieb er lediglich in der Zeile des Dichters und in den Herzen der beiden Liebenden verewigt. 

 

Übrigens sprang der Funke für diese Geschichte von einem ganz anderen bekannteren Gedicht als das des namenlosen verliebten Dichters über, nämlich von Willkommen und Abschied, welches ich auch auf Arabisch übersetzt habe. „Die Winde schwangen leise Flügel, umsausten schauerlich mein Ohr.“ – wie in vielen anderen poetischen Werken ist der Wind Überbringer von Sinneseindrücken, Botschaften und Emotionen. Quasi die Post der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Verdammt bedeutsam also!

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