Handlung
Das Theaterstück erzählt im Groben die Lebensgeschichte von Florence Foster Jenkins, einem amerikanischen Star des 19. Jahrhunderts. Um den Clue ihres Lebens gleich vornweg zu nehmen: Sie war eine völlig (!) untalentierte Sängerin. Ihr Vater weigerte sich (aus gutem Grund), Florence eine musikalische Ausbildung zu finanzieren. Mit dem Tod ihres Vaters und einem damit verbundenen sehr großen Erbe konnte sie sich diesen Traum allerdings noch in höherem Alter erfüllen und stieg in das Musikgeschäft ein. 1912 gab Florence ihr erstes Konzert und ihr Ruf als schlechteste Sängerin begann sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten.
Ich habe 1912 zu singen angefangen – in dem Jahr, als die Titanic sank.
Ihr ungetrübtes Selbstbewusstsein und völlige Blindheit gegenüber der eigenen Talentlosigkeit machten in Kombination mit schiefen Tönen und einem geringen Stimmumfang ihre Konzerte zu echten Insider-Tips, es mangelte weder an Konzertbesuchern noch an Verehrern. Florence Foster Jenkins, die den Lebensstil einer echten Diva führte, gründete den “Verdi-Club” (reiche Damen unterstützen junge Musiker) und gab bald nur noch einem sorgfältig ausgewählten Publikum Konzerte, ein Beispiel dafür ist ihr jährliches Konzert im (sehr teuren) Saal des Ritz-Carlton-Hotels in New York. Letztendlich gab sie dem Druck der Öffentlichkeit und ihrer “Fans” nach und sang – mit 76 Jahren – ein öffentliches Konzert in der Carnegie Hall, einem berühmten Veranstaltungshaus New Yorks. Binnen weniger Wochen waren die Karten ausverkauft. Der Ruhm von Florence Foster Jenkins rührte wohl aus ihrer Einzigartigkeit und ihrer ungetrübten Freude an der Musik, die sie auch weitergab (von ihrem Abschlusskonzert wurden von mehreren tumultartigen Szenen berichtet, in denen Lachkrämpfe die Zuhörer schüttelten).
Sie klingt wie ein besoffener Kuckuck.
Ihre Arien und Gesänge sind auf 4 Schallplatten zu hören, allein einer der Titel soll hier beispielhaft stehen: “Murder on the High Cs”. Wenn es ihr Gesang nicht schon längst geschafft hat, Zuhörer zum Lachen zu bringen, so waren es ihre Kostüme. Die Diva kleidete sich bei ihren Konzerten stets extravagant und passend zum Lied – beispielsweise trat sie zum spanischen Lied “Clavelitos” in spanischer rot-schwarzer Kostümierung auf und warf leidenschaftlich mit Blumen um sich.
Bewundernswert und für das Stück im Volkstheater mehr als erwähnenswert ist Cosmé McMoon, ihr Begleitpianist, der mit stoischer Gelassenheit versuchte, ihr fehlendes Rhythmus- Ton- oder überhaupt Musikgefühl durch sein Spiel auszugleichen. In “Glorious!” im Volkstheater ändert sich seine Haltung gegenüber Misses Jenkins, deren grauenhafter Gesang und Realitätsferne ihn zunächst entsetzt. Cosmé wird aber mehr und mehr zu einem Freund und einer vertrauten Person für die alte Dame und schätzt sie letztendlich für ihren Mut, ihre Durchsetzungskraft und Leidenschaft. Letzten Endes fungiert er als Erzähler und berichtet dem Publikum von ihrem Tod, nur kurze Zeit nach dem letzten grandiosen Auftritt in der Carnegie Hall.
Mit Sicherheit hat sie im Kopf ihre eigene Stimme bei ihrem Tod gehört – nicht das furchtbare Geräusch, was wir anderen hörten, sondern die Stimme in ihrem Kopf gleichsam eines Engels.
Kritik
Zuerst einmal möchte ich die Aufmerksamkeit auf den Veranstaltungsort lenken. Das Volkstheater ist eine gänzlich andere Bühne als das Burgtheater oder gar die Staatsoper. Keinesfalls sollte man aber der Versuchung nachgeben, einen Rückschluss auf die Qualität zu ziehen, das Repertoire ist schlicht für ein anderes Publikum gedacht. Dementsprechend kann man auch nicht mit den selben Erwartungen in das Volkstheater gehen, die man beim Besuch der Staatsoper hat. Das Volkstheater spielt wirklich das volksnahe Theater. “Glorious!” hat sich da auf der passenden Bühne bewegt. Es war lustig, nicht sehr anspruchsvoll, relativ kurzweilig (bis auf eine oder zwei Szenen) und irgendwie schon nett. Aber vom Hocker gehauen hat es mich nicht.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich Florence Foster Jenkins ziemlich faszinierend finde und ich war mehr als gespannt, was mir Peter Quilter (bzw. die deutsche Fassung von Horst Johanning) alles über sie erzählen kann. Prinzipiell war es nicht viel, auch wenn das Wenige in aufwendige Szenen verpackt wurde. Auch in aufwendige Bühnenbilder – zuerst Ms. Jenkins’ kitschige Wohnung (voller Blumen), dann das Tonstudio, dann das Ritz-Carlton-Hotel (voller! Blumen), letztendlich die Carnegie-Hall (VOLLER! Blumen!) und noch aufwendigere Kostüme. Beides unterstrich aber natürlich hervorragend den Diva-Charakter.
Der Star wurde verkörpert von niemandem anders als Maria Bill (schon bekannt aus der Dreigroschenoper), es muss furchtbar schwierig für eine ausgebildete und gute Sängerin sein, konsequent falsch zu singen. Das ist nun einmal das Markenzeichen von Florence Foster Jenkins und Maria Bill hat ein wenig gebraucht – anfänglich klangen die Gesangsdarbietungen gar nicht so schlimm -, aber sich spätestens in der zweiten Hälfte darauf eingegroovt und gequietscht, gekrächzt und die Arie der “Königin der Nacht” so überzeugend furchtbar präsentiert, dass ich vor Lachen fast vom Sessel gefallen bin. Lachen konnte man tatsächlich hin und wieder kräftig und die Zuhörer der echten Ms. Jenkins gut verstehen. Einige Anekdoten wurden sehr gut in das Stück eingearbeitet, z.B. dass Cole Porter bei ihrem letzten Konzert seinen Kopf auf den Boden geschlagen haben soll, um nicht in hysterische Lachkrämpfe zu verfallen. Oder dass sie nach einem Autounfall das hohe F vermeintlich besser erreichen konnte und dem verantwortlichen Fahrer eine Kiste teurer Zigarren schickte. Derartige Anekdoten und auch Originalzitate wurden reichhaltig eingebaut, im Grunde genommen bestand das Stück hauptsächlich daraus. Es war schon unterhaltsam. Aber Maria Bill hat eine Figur verkörpert, die mindestens 3 Meter Bewegungsfreiraum braucht, weil sie ständig an ihrem Kleid, ihrer Stola, ihrem Schmuck oder sonstigen Accessoires herumzupft und jede ihrer ausschweifenden Worte mit dramatischen Gesten untermalt. Eine Frau, die furchtbar reich, furchtbar untalentiert und furchtbar von sich überzeugt ist. Eine Künstlerin in der negativsten möglichen Konnotation, kurz: Eine Person, mit der man es kaum 10 Minuten in einem Raum aushalten kann/möchte. Und dann muss man sie zwei Stunden erleben…. Florence Foster Jenkins kann einem gewaltig auf die Nerven gehen! Aber das heißt, Maria Bill hat ihre Rolle gut gespielt. Hat sie auch, aber der eigentliche Star des Abends war für mich eindeutig und mit großem Abstand ihr Begleitpianist. Till Firit spielt den zurückhaltenden, höflichen und begabten Cosmé McMoon, absolut glaubwürdig und hinreißend charmant. Trotz der Tatsache, dass er immer im Schatten dieser furchtbar lauten und verrückten Frau steht, ist er eine treibende Kraft des Stücks. Womöglich auch im echten Leben von Florence F. Jenkins, auf jeden Fall aber auf der Bühne des Volkstheaters. Er hat Wasser zur Hand, wenn die Diva vor lauter Aufregung im Tonstudie nach Sherry ruft, er macht ihr Mut nach einer vernichtenden Kritik, er kann ihr Unvermögen bzgl. Töne, Rhythmus und Takt zwar nicht gänzlich ausbalancieren, aber gibt sein Bestes und ist bis zu ihrem Tod an ihrer Seite. Es gibt genau zwei ernste und sentimentale Momente und in beiden spielt Cosmé McMoon eine zentrale Rolle und ist hauptverantwortlich für die Stimmung.
Als Florence kurzzeitig ihren Mut verliert, nachdem eine Kritikerin eines der Konzerte mit handverlesenen Zuhörern stürmt und sie beleidigt bzw. über ihr mangelndes Talent (wahrheitsgemäß) aufklärt, ist Cosmé/Till Firit zur Stelle und tröstet sie mit aufmunternden Worten. Er bringt es zum ersten Mal über sich, ihr weiter Mut zum Singen zu machen und ihren Übermut nicht bremsen zu wollen.
Sie wurden von der Natur nicht mit einer Stimme gesegnet – sie wurde aus Wut in Sie hineingeschleudert!
Noch rührender wird es, als Cosmé kurz darauf ein Chanson anstimmt und Florence und ihren Lebensgefährten in einen langsamen Kuscheltanz singt und spielt. Er kann nämlich im Gegensatz zu ihr singen. Und diese quirlige und anstrengende Frau mal in ruhigen Bewegungen zu erleben ist nach einer anstrengenden Stunde Balsam für die Seele. Danke Cosmé!
Zweite ernste Szene nach dem Tod der Diva. Das letzte Konzert in der Carnegie Hall ist natürlich der Brüller, ich konnte Cole Porters Reaktion nachvollziehen. Vor allem, weil Ms. Jenkins und auch Maria Bill in einem Engelskostüm auftritt, mit Flügeln (die sogar schlagen können) und einem auf dem Kopf montierten Heiligenschein. Es war zum Schreien kitschig. Der Gesang natürlich wie schon erwartet…. nun ja, extravagant. Auf dem Höhepunkt des Kitsches – Blütenblätter rieseln von der Decke – friert die Szene ein und die Stimmung ändert sich schlagartig, denn Cosmé erzählt vom Tod dieser außergewöhnlichen Frau. Er hat ganz echte Tränen in den Augen und obwohl ich mich kurz davor noch Lachen geschüttelt habe, wurde ich schlagartig rührselig.
Cosmé ist die einzige Figur, die irgendwie eine Art tieferen Sinn zwischen die Plattitüden bringt, denn im Grunde genommen verkörpert das Leben der Florence Foster Jenkins das Motto “Lebe deinen Traum”. Egal, wer dagegen ist, egal, was andere sagen. “Was man erträumen kann, kann man auch tun.” Diese Moral kommt allein durch Cosmé zum Ausdruck, der ihr zuletzt tief verbunden ist und sie bewundert, natürlich nicht wegen ihres Gesanges, sondern wegen ihrer Fähigkeit und ihres Glaubens, ihren Traum wahr zu machen.
Die Leute könnten behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte.
Während Till Firit als Cosmé wahrlich das Stück bereichert hat, sind alle anderen Nebenpersonen mit dieser Qualität gar nicht aufgefallen. Da gab es noch Florences Lebensgefährten, den erfolgslosen Schauspieler St. Claire (Ronald Kuste), die beste Freundin Dorothy (Inge Maus), ein noch grauenvolleres Weib mit einem bemitleidenswerten Terrier, sowie die Haushälterin Maria. Aber irgendwie hat der Regisseur es nicht geschafft, diese Figuren so zu präsentieren, als wären sie wichtig und nicht für das Stück entbehrlich. Ich habe sie nicht gebraucht und Florence Foster Jenkins mit ihrem großartigen Cosmé McMoon anscheinend auch nicht. So farblose und unnütze Nebenrollen habe ich selten gesehen.
Trotz meiner anfänglichen Warnung, man sollte das Volkstheater nicht gleich als qualitativ weniger hochwertig verurteilen, war Glorious! nicht viel mehr als nett und harmlos unterhaltsam mit wenig bleibendem Eindruck. Zwar war es lustig, aber ich kann mir doch vorstellen, dass das britische Original einen besseren Humor zu bieten hat als die deutsche Inszenierung, wo die Pointen meistens unnötig hochgezogen werden, sodass es oft albern wird. Ausnahme davon wieder der großartige Till Firit als Cosmé, der den wunderbar trockenen britischen Humor durch seine nüchternen und zweideutigen Kommentare hervorragend übermittelt.
Soll man sich Glorious! anschauen? Na, es ist auf jeden Fall ein unterhaltsamer Abend und die Tatsache, dass das Volkstheater nur halb voll ist, macht die Restkarten günstig genug, dass es sich auf jeden Fall lohnt.
Randnotiz
Im Original als Königin der Nacht
Photo © Herbert Pfarrhofer