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Thoss | Wheeldon | Robbins

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Dreiteiliger Ballett-Abend in der Staatsoper.

Handlung

1. Teil Blaubarts Geheimnis: Eine Choreographie von Stephan Thoss des Märchens Blaubart nach Musik von Philip Glass (nicht nur, aber hauptsächlich). Blaubart ist der Geschichte zu Folge ein reicher Gutsbesitzer, den aber aufgrund seines blauen Bartes die jungen Damen nicht heiraten wollen. Und nicht nur deswegen – keiner weiß so richtig, was mit seinen vorigen Ehefrauen geschehen ist. Eine junge Frau wagt es schließlich und heiratet Blaubart. Blaubart unternimmt bald nach der Hochzeit eine Reise und erlaubt seiner Frau, sich überall im Haus frei zu bewegen, nur einen Schlüssel dürfe sie nicht benutzen und die dazugehörige Kammer nicht öffnen. Diese kann allerdings ihrer Neugierde nicht widerstehen und widersetzt sich seinem Verbot. In besagter Kammer findet sie die Ex-Ehefrauen Blaubarts ermordet. In der Geschichte verhängt Blaubart daraufhin über sie ein Todeurteil, allerdings kann die junge Frau mit Hilfe ihrer Brüder dem Tod entkommen, Blaubart selbst stirbt und sie erbt alle seine Reichtümer.

2. Teil Fool’s Paradise: ist eine Choregraphie von Christopher Wheeldon zu Musik von Joby Talbot, die eine Art Paradies der puren Liebe darstellen soll, ohne den Einfluss von Eifersüchten, Machtspielen, Auseinandersetzungen und Anderem, was menschliche Partnerschaften beeinflusst. Es gibt keine Handlung, nur eine Situation, in der sich vollkommene Wesen in einem vollkommenen Paradies der Liebe begegnen.

3. Teil The Four Seasons: Jerome Robbins’ Choreographie orientiert sich hauptsächlich an dem Ball der Vier Jahreszeitender Oper I Vespri Siciliani von Giuseppe Verdi. Die vier Jahreszeiten werden durch jeweils einen König/eine Königin mit Gefolge repräsentiert und vertanzt.

Kritik

Nun, beginnend mit Blaubarts Geheimnis hat das Staatsopernballett gleich einen Knaller losgelassen. Einen etwas verstörenden und nervenaufreibenden zwar, aber dennoch. Das Ballett rund um Blaubart ist weniger daran interessiert, die Handlung einer Geschichte vollständig zu zeigen, sondern eher, die bestehenden Emotionen, Ängste und Stimmungen zu präsentieren. Vor allem sieht man auf der Bühne die Spannung zwischen Blaubart und seiner jungen Frau, die voller Intensität ist. Sie ist fasziniert von ihm, neugierig und ein wenig ängstlich bezüglich seiner Geheimnisse, er ist recht dominant und beherrschend, fühlt aber doch Zuneigung zu ihr und Anklänge von Zärtlichkeit. Man ahnt und weiß, die Beziehung zwischen den beiden kann funktionieren, wenn Raum und Zeit für ein tiefes Kennenlernen vorhanden ist. Aber dann ist da noch Blaubarts Mutter, die die Beziehung auf eine ebenso beherrschende und kühle Art irgendwie behindert oder immer zwischenfunkt. Und natürlich die vorigen Ehefrauen, allesamt ermordet, deren Schicksal seine neue (noch lebendige) Ehefrau langsam gefangen nimmt. Von der Neugier bzgl. der verschlossenen Tür über das Entdecken der Leichen bis hin zu der Frage, wie sie diese Information bewältigen und vor ihrem Mann geheim halten soll. Das alles findet Platz in einem seltsamen Tanz, der weniger an klassisches Ballet, eher an modernen Ausdruckstanz erinnert. Die meisten Figuren, vor allem die toten Ehefrauen und die Mutter, bewegen sich spinnenartig, mit ruckartigen Verläufen, grotesk. Mit scheinbar unkontrolliert zuckenden Bewegungen erinnern sie tatsächlich an Leichen, die noch restliche Reflexe zeigen und sich nicht mehr menschlich flüssig bewegen. Einzig Blaubarts Frau tanzt anmutig und schön, zaghaft auch und sehr lebendig. Blaubart selbst ist der dominante Tänzer, zu Beginn beherrscht er sie. Vor allem muss sie sich viel gefallen lassen: Sie wird oft über den Boden geschleift, niedergedrückt oder in sehr abstruse Haltungen gerenkt. Nach ihrer Entdeckung aber verschiebt sich das Machtgefüge, in der Choreographie wird sein Ringen zwischen Zuneigung zu ihr, Wut und der Auseinandersetzung mit seiner schrecklichen Vergangenheit deutlich. Dann liegt auch er immer mal auf dem Boden…. Spannend und sehr bewegend. Sowohl der Tanz als auch das Bühnenbild (viele, viele Türen, ständig in Bewegung) vermitteln eine Art barocke, düstere Romantik mit schwarzem Samt und Spitze, dunklem Holz und waberndem Licht. Die Musik von Philip Glass dazu ist ein echtes Highlight. Eigentlich simpel, aber die Verkörperung eines Geheimnisses, einer verschlossenen Tür, hinter die man schauen möchte, obwohl sie womöglich Schrecken verbirgt. Die Musik letztendlich von Philip Glass scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben, es ist, als würde man den Ausschnitt einer nie endenden, universellen  Musik hören. Blaubarts Geheimnis ist eine perfekte Zusammenführung von originellem Tanz, spannungsgeladenem Bühnenbild und magischer Musik.

Der zweite Teil mit Fool’s Paradise ist dann beinahe schon ein Schock. Einen extremeren Gegensatz kann man sich nicht vorstellen. Männer und Frauen tanzen in hautfarbenem Body anmutig durch goldgefärbten Hintergrund. Mal reiner Paartanz, mal wird eine Frau zwischen mehreren Tänzern herumgereicht, alle haben sich lieb. Keine Spannung, keine Originalität, kein Chichi, nur perfektes, harmonisches, klassisches Ballett. Wie eine Seidenrose – perfekt, aber irgendwie irreal. Es war ein wenig langweilig, weil man nach 10 Minuten eigentlich alles gesehen hat. Im Programmheft wird sehr ausführlich heruminterpretiert, was man sich bzgl. Liebe alles gedacht hat. Sehr interessant, aber leider kommt nichts davon auf der Bühne rüber. Es ist perfekt und fad.

Wieder ein Gegensatz – ein etwas erfreulicherer – dann der letzte Teil. The Four Seasons ist zum Schluss eine Wohltat für die Augen. Beginnend mit dem Winter durchläuft man mit jeweils passendem Ensemble die vier Jahreszeiten, der Herbst am Ende ist der krönende Abschluss. Ein wenig Melancholie kann man da hineininterpretieren, der Herbst als Ende des Lebens beschließt das Jahr und nicht der Winter, wie man annehmen möchte. Aber soviel Ernsthaftigkeit kommt gar nicht auf. Man bekommt viel geboten: bunte, aufwendige Kostüme, passend (und ein wenig klischeehaft) zu den Jahreszeiten, abwechslungsreicher Tanz, und beschwingte Musik von Verdi. Man kann sich entspannen, an der opulenten Darbietung erfreuen und zwischendurch auch mal lachen. Das Ganze ist wie ein riesiger, bunter und dieses Mal echter Blumenstrauß oder wie das Bild Der Herbst von Giuseppe Arcimboldo. Fast ein bisschen zu viel des Guten, aber sehr unterhaltsam, nicht zu lang und daher der perfekte Abschluss für einen Ballettabend mit drei so unterschiedlichen Stücken.

Randnotiz

Ich hätte gerne mehr über Blaubarts Geheimnis geschrieben, das war echt faszinierend, aber das führt hier zu weit.

Hier ein Zitat über Philip Glass’ Musik:

“Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.”

Wer sich dieses Genie der Minimal Music mal zu Gemüte führen möchte:

Man muss sich Zeit nehmen, aber ich finde, es lohnt sich…

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