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Liliom

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Vorstadtlegende aus der Feder des Ungarn Ferenc Molnár im Burgtheater.

Handlung

Liliom, von Alfred Polgar ins Deutsche übertragen, spielt im Milieau des Wiener Praters, also im Umfeld einer ziemlich windigen Gesellschaftsschicht zu Beginn des 20. Jhds. Wir verfolgen die Geschichte von Liliom, dem besten Ausrufer des Rummelplatzes und angestellt beim Karussell von Frau Muskat. Er ist ein “Strizzi”, ein Strolch, ein Großmaul, Aufreißer, ein Flegel, ein Gscherter und ein Prolet, der Geld und Frauen genauso schnell wieder weggibt, wie er es/sie bekommt. Er trifft auf das brave Dienstmädchen Julie und gibt ihretwegen seine Arbeit bei Frau Muskat auf. Sie heiraten und schnorren sich fortan bei einer befreundeten Fotografin durch. Liliom sucht sich keine neue Arbeit und lehnt aus Stolz auch das Angebot von Frau Muskat ab, als diese ihn wieder einstellen will. Aus Frust schlägt er sogar seine Frau Julie, die davon sehr getroffen ist, aber nie ein schlechtes Wort über Liliom verliert.

Julie wird schwanger und Liliom ist voller Vorfreude auf das Kind, was er allerdings nicht wirklich zeigen kann. Er bleibt schroff und verkehrt stattdessen mit einem schlechten Einfluss namens Ficsur – Trinken, Glücksspiel etc. Ficsur, der Liliom auch immer wieder über’s Ohr haut, überredet ihn zu einem Mord, um an Geld zu gelangen, allerdings schlägt das Unterfangen fehlt und Liliom begeht stattdessen Selbstmord, um einer Verhaftung zu entkommen.

Vor dem Selbstmördergericht im Vorzimmer der himmlischen Ewigkeit muss er sich für seine Grobheit, seine Taten und seinen Egoismus rechtfertigen. Er soll 16 Jahre lang im Fegefeuer Buße tun, danach kann er für einen Tag auf die Erde zurückzukehren. An diesem Tag soll er etwas Gutes für seine Familie tun, um dann in den Himmel zu kommen.

Die Zeit vergeht, die 16 Jahre sind rum, Liliim stößt als fremder Bettler zu Julie und dem jungen Mädchen. Er gibt sich als Freund des Verstorbenen Liliom aus und erzählt der Tochter schließlich die unschönen Wahrheiten über ihren Vater, wie er wirklich war, worauf ihn Julie fortschickt. Erbost schlägt er der Tochter auf den Arm und geht. Diese fragt ihre Mutter verwundert, wie es sein kann, dass ein so heftiger Schlag gar nicht weh tut. Julie antwortet, dass sie diese Erfahrung kenne (sie denkt an die Schläge von Liliom zurück).

Kritik

Das ist für mich Wiener Theater par excellence. Fast durchgängig im Wiener Vorstadtdialekt – da ist es gut, jemandem dabeizuhaben, der einem erklären kann, was ein Strizzi ist oder dass Ringelspiel Karussell bedeutet. Allerdings konnte mir keiner erklären – und ich mir selbst auch nicht – wie diese Liebe zwischen Liliom und Julie zustande kam.

Hab kein Mitleid mit mir, mein Kind, oder ich geb dir eine auf den Schädel.

Beides sind wahnsinnig tolle Bühnencharaktere (die ich in der Realität beide nicht besonders mögen würde) und wurden auch überzeugend von Nicholas Ofczarek und Katharina Lorenz gespielt, aber es geht nicht in meinen Kopf, wie und wieso sich die brave, schüchterne, naive Maus Julie in den groben, anstandslosen Taugenichts Liliom verliebt. Und anders herum ebenso. Ein Mann, der das Glitzern, das Geld und das Vergnügen des Rummelplatzes um sich herum braucht, soll das alles aufgeben für ein Mädchen, das kaum mehr als Ja und Nein sagt bei ihrer ersten verhängnisvollen Begegnung? Nein, das verstehe ich nicht. Ist das das Thema des Stückes? Trotzdem Liebe? Trotz der Tatsache, dass die beiden so überhaupt nicht zueinander passen wollen, trotz der Schläge von Liliom hält sie zu ihm.

Da muss letztendlich das Geheimnis liegen, denn dieses Ereignis wird am Ende ganz poetisch aufgegriffen und bildet den Abschluss – Liliom, von Frau und Kind unerkannt, schlägt seiner Tochter wütend auf den Arm. Diese nimmt die grobe Geste jedoch kaum war, es tut ihr nicht weh. So hat auch Julie die Schläge ihres Mannes nicht als das wahr genommen, was sie sind. Liliom ist ein furchtbarer Kerl, aber Julie scheint die einzige Frau zu sein, die an seiner Seite sein kann, denn in ihr scheint irgendein Mechanismus zu sein, der die Grobheiten Lilioms umwandelt in Zeichen der Liebe, die ganz ganz ganz ganz weit dahinter versteckt sind. Denn im Grunde genommen schlägt er sie, weil er unzufrieden ist, keine Arbeit zu haben und nicht für sie sorgen zu können. Er sagt es ihr nie und kann es auch vor dem Selbstmördergericht nicht zugeben, aber irgendwie liebt er sie und bei vielen seiner Handlungen steht die Liebe zu ihr am Beginn der Kausalkette. Vermute ich.

Wenn man das so durchdenkt, könnte sogar eine Art Mitleids-Sympathie für Liliom aufkommen, wie es vermutlich sein soll. Denn ich glaube nicht, dass es die Intention des Autors Molnár war, das Publikum gegen Liliom zu stellen. Der ist eine Art Woyzeck, nur gröber, aber in letzter Konsequenz selbstbewusster, schließlich dreht er nicht durch und ersticht seine Liebste, sondern sich selbst. Vielleicht soll Liliom einen berühren, ohne dass man weiß, warum. Oder man soll in ihm und mit ihm mehr sehen, als er und seine Handlungen und Worte zeigen, so wie auch das Theater selbst mehr ist als Handlung, Text und Bühnenbild. Ich weiß es nicht, aber die Figur des Lilioms hat mit Sicherheit eine Aufgabe, die ich nicht ganz durchschaue. Macht aber nichts.

Wir haben es übrigens bei Liliom mit einem Meisterwerk der Bühnenbildnerei zu tun. Der Prater als Schauplatz lässt sich sowieso super inszenieren mit Lichtern, Farben und der Dizzymouse (die es auf dem Prater übrigens wirklich noch gibt) im Hintergrund, aber die wirklich Sensation kommt mit Lilioms Tod. Wie stellt man eine Art Vorzimmer des Himmels dar? Ganz einfach: Man nehme einen weißen Raum, lasse ihn zwei Meter über dem Boden schweben, kleide ihn ganz in weiß aus und setze eine große, weiße Leuchtreklame Heaven darüber. Ein typischer Beamter (Peter Matic, der eigentliche Star des Abends) sitzt hinter dem Empfangstresen und sortiert die Akten der Selbstmörder, die zu ihm vorgeladen werden. Dabei läuft Radio Burgenland. Es ist zum Schreien komisch! Vor allem auch der folgende Dialog zwischen dem Beamten, der Liliom zu einem Schuldeingeständnis, aber vor allem zu einem Geständnis seiner Liebe zu Julie bringen will und Liliom, der so tiefgründig denkt wie ein Sack Kartoffeln und gar keine Lust hat, sich über die Folgen seiner Tat Gedanken zu machen.

Allerdings ist spätestens in dieser Szene die Tragik aus der Tragikomödie verschwunden, manch einer meint, dass es dem Stück die Basis nimmt, wenn man den komödiantischen Aspekt in den Vordergrund stellt. Ich sehe das nichts so, zum Schluss kommen wir wieder zu einer derart ergreifenden, sentimentalen Schlussszene, dass das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Ich für meinen Teil fand es tragisch genug, um nicht als Kasperlstück zu gelten und komisch genug, um es gleichzeitig als wienerisch charmant wahrzunehmen.

Das Ende bleibt im Grunde genommen offen. Nach der Schlüsselszene, in dem die Tochter Louise und Julie die selbe Erfahrung von Lilioms “Zärtlichkeit” teilen, ist das Stück aus und man muss sich selbst fragen, ob Liliom nun seine Aufgabe erfüllt hat und in den Himmel kommt oder nicht. Zählt es als gute Tat, seiner Tochter die Wahrheit über ihren Vater zu erzählen? Reicht das aus? Erhebt die Wahrnehmung von Julie und Louise Lilioms Aufbrausen doch zu einer guten Tat? Oder hat sich Liliom auch nach 16 Jahren Buße nicht verändert. Ich hatte den Eindruck von Letzterem, aber es ist einerseits spannend, andererseits auch frustrierend, nicht zu wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Alles in allem ein großartiger Abend, ein großartiges Stück, es gibt im Grunde genommen nichts zu kritisieren. Es war spannend, visuell sehr ansprechend, hintergründig, lustig und schauspielerisch top. Liliom kommt mit in die Würde-ich-mir-noch-ein-zweites-Mal-anschauen-Kiste!

Randnotiz

Molnár über sein Stück:

Jeder hat schon einmal eine Schießbude im Stadtwäldchen gesehen. Erinnern Sie sich daran, wie kindisch, wie komisch alle Figuren dargestellt sind? Arme, schlechte Schildermaler malen diese Figuren so, wie sie sich das Leben vorstellen. Ich wollte das Stück auch in solcher Weise schreiben. Mit den Gedanken eines armen Schaukelgesellen im Stadtwäldchen, mit seiner Phantasie und seiner Ungehobeltheit.

Pucchini wollte das Stück in eine Oper vertonen, aber Molnár lehnte ab mit der Begründung:

Wenn Sie mein Stück vertonen, wird alle Welt von einer Puccini-Oper sprechen. So aber bleibt es ein Stück von Molnár.

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