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Fräulein Julie

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Tragisches Kammerspiel aus Schweden im Volkstheater in den Bezirken.

Handlung

Die junge Adlige Julie versucht, beim Mittsommernachtsball ihrer Welt ein wenig zu entfliehen und tanzt mit der Dienerschaft. Besonders fühlt sie sich von Diener Jean angezogen, der sich als gebildet und gut erzogen erweist und trotz seiner niedrigeren gesellschaftlichen Klasse gewählt und klug auszudrücken weiß. Er ist sich des gesellschaftlichen Unterschiedes bewusst und ermahnt Fräulein Julie, sich vor einem Skandal zu hüten.

Steigen Sie nicht herab, Fräulein, hören Sie meinen Rat! Niemand glaubt, daß Sie gutwillig herabsteigen; die Leute werden immer sagen, Sie sind gefallen!

Dennoch lässt er sich verführen und die beiden verbringen die Nacht miteinander. Am nächsten morgen: Krisensitzung in der Küche. Julie ist total verliebt und möchte am liebsten mit Jean fliehen. Der sieht das Ganze wesentlich komplizierter und die Machtverhältnisse verändern sich.

Domestikendirne halte den Mund und geh von hier fort. Willst du herkommen und mir vorwerfen, ich sei roh? So gemein, wie du dich heute Abend aufgeführt hast, hat sich niemals einer meinesgleichen benommen. Glaubst du, ein einfaches Mädchen berührt Männer so, wie du? Hast du je ein Mädchen meines Standes sich so anbieten gesehen?

Wo es zu Beginn Julie war, die auf Jean herabgeschaut hat, ist es nun der Diener, der seine Herrin zurechtweist, ihr befielt und sie um seine Liebe betteln lässt. Die Ideen fliegen nur so in der Luft herum – gemeinsam fliehen, ein Hotel eröffnen, das Geld fehlt, Julie klaut welches, binnen Sekunden ändert Jean ständig seine Meinung. Letztendlich kündigt sich die Heimkehr des autoritären Grafen (Julie’s Vater) an und beide bekommen Panik. Schnell wollen sie fliehen, doch dann beeinflusst Jeans Verlobte – ebenfalls eine Dienerin – das Schicksal der beiden, indem sie eine Predigt über Moral und Anstand hält.

Zu guter Letzt überzeugt Jean Julie davon, dass die einzige Möglichkeit, aus der misslichen Lage herauszukommen, in Julies Selbstmord besteht. Er bringt sie dazu, sich selbst umzubringen.

Kritik

Und ich schaute nach Ihnen, während Sie zwischen den Rosen dahinschritten, und ich dachte: wenn es wahr ist, daß ein Mörder ins Himmelreich kommen kann und bei den Engeln bleiben, so ist es sonderbar, daß ein Kätnersjunge hier auf Gottes Erde nicht soll in einen Schloßpark kommen und mit des Grafen Tochter spielen können.

Glauben Sie, daß alle armen Kinder in diesem Fall denselben Gedanken gehabt hätten
Ob alle armen — ja — natürlich! Ganz gewiß!

Es muß ein grenzenloses Unglück sein, arm zu sein.

Ach, Fräulein Julie! Ach! Ein Hund kann auf dem gräflichen Sofa liegen, ein Pferd kann von einer Damenhand auf die Schnauze geklopft werden, aber ein Junge —

Das Stück behandelt interessante Themen, die sich gut für die Bühne eignen. Liebe natürlich, Macht, Moral, Autorität, Klassenunterschiede, Geschlechterkampf, Stärke und Schwäche etc. Fräulein Julie ist als “naturalistisches Trauerspiel” betitelt – leider muss ich sagen, dass ich das ganze Stück extrem unglaubwürdig fand. Von Naturalismus erwarte ich etwas anders. Die Handlung war meistens entweder fad (die erste Hälfte) oder derartig extrem (die zweite Hälfte), besonders die Gedankensprünge bei Jean, dass ich den Personen ihre Worte nur selten abgenommen habe.

Das lag nicht unbedingt an fehlendem schauspielerischen Können –  Felicitas Madl als Julie war zwar nicht ganz so mein Fall, sie war etwas nervig, aber das musste wohl so sein. Aber diese überdrehte, nervtötende Figur hat erst recht nicht geholfen zu verstehen, warum eine kluge, kontrollierte und disziplinierte Person wie der Diener Jean sich auf eine Affäre mit dieser Frau einlassen sollte. Trotzdem war sie als Schauspielerin nicht schlecht. Thomas Reisinger als Jean fand ich sogar richtig gut. Aber auch seine Rolle war etwas unnatürlich. Hochstilisiert, beinahe karikaturistisch, aber nicht genug, als das es gewollt wäre. Ich hab ihn einfach nicht verstanden.

Sein Streben war es, in der Gesellschaft aufzusteigen, 100% aristokratisch denkend, Fräulein Julie hat er schon als kleiner Junge angehimmelt. Er scheint sich ihrer einerseits nicht würdig zu fühlen durch seine niedere Klasse, andererseits meint er auch, überlegen zu sein, da er sich nie des Standes so unangemessen benehmen würde wie Julie. Ein wenig schizophren… Dann hat er nun eine Nacht mit ihr verbracht, sie ist völlig vernarrt und macht alles, was er sagt, will mit ihm weggehen, um seinen Traum zu verwirklichen – ein eigenes Hotel führen. Was ist dann also wieder sein Problem? So ein Schock und eine Enttäuschung, dass seine feine Herrin tatsächlich nur ein Mensch wie er auch ist? Zwischendurch kam der Verdacht auf, dass er sie und ihr (gestohlenes) Vermögen benutzen will, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen, aber warum hat er dann nicht einfach die Chance genutzt, als sie reisefertig und mit einem Haufen Geld vor ihm stand?

Ich habe keine Ahnung, jedenfalls hat der Diener Jean alle 3 Minuten die Meinung gewechselt, Julie mal geküsst, dann wieder auf den Boden geworfen, im nächsten Moment die Schuhe ihres Vater geputzt und sich in seinem kriecherischen Elend gesuhlt…. aus diesem Kerl wurde ich nicht schlau. Und dieses Riesendrama, was beide veranstaltet haben, konnte ich auch nicht nachempfinden. Es war wirklich besonders gegen Ende sehr dramatisch und stand in überhaupt keinem natürlichen Verhältnis zur bestehenden Situation.

Helfen Sie mir nun! Befehlen Sie mir, und ich werde gehorchen, wie ein Hund! Leisten Sie mir den letzten Dienst, retten Sie meine Ehre, retten Sie meinen Namen! Sie wissen, was ich wollen sollte, aber nicht will. Wollen Sie es und befehlen Sie mir, es zu vollbringen!

Sie hätten auch einfach so tun können, als wäre nichts passiert. Oder ihre Liebesbeziehung (obwohl man nach einer einzigen durchzechten Nacht kaum davon sprechen kann) heimlich weiterführen können. Oder eben zusammen weggehen. Aber Hals über Kopf an einem Morgen entscheiden zu müssen, wie das Leben weitergeht und einen haarsträubenderen Entwurf nach dem anderen auszupacken – das habe ich ihnen nicht abgenommen. Ich habe ständig die Stirn gerunzelt und mich gefragt, was sie denn nun eigentlich wollen.

Zeitweise war es auch etwas langatmig. Immerhin waren eigentlich nur 2 Personen auf der Bühne. Die ganze Zeit.  Jeans Verlobte schlief die meiste Zeit in der Küche (Hallo? Die beiden sitzen dort, schreien sich an, Julie heult regelmäßig, es wird gezankt, getrunken, geknutscht usw. und die schläft nebenbei!). Ihr Auftritt am Ende war allerdings ziemlich gut, sie war die einzige Figur, der ich ihre Ansichten abgenommen habe. Vielleicht, weil der schlichte Charakter nicht so überzogen konzipiert war, sondern als bodenständige, religiöse und im Vergleich zu den anderen beiden “normale” Frau. Auch hat sie zwar scharfe Kritik ausgeübt und den beiden Schamlosigkeit vorgeworfen sowie verkündet, dass sie von nun an keinen Respekt mehr vor ihrer Herrin haben könne, aber nicht so einen Riesenaufstand gemacht. Zumindest sprach sie sich gegen eine überstürzte Abreise aus und ermahnte besonders Jean, erst einmal normal weiterzumachen und mit ihr wie jeden Sonntag zur Kirche zu gehen. Und das, obwohl ihr quasi-Verlobter sie betrogen hat, meiner Meinung nach wäre sie diejenige gewesen, die den größten Aufstand hätte machen dürfen.

Laut Programmheft ist die große Thematik von Fräulein Julie “die Unmöglichkeit von Beziehungen”, das klang ansprechend, reizvoll und realitätsnah, deswegen bin ich hingegangen. Aber diese Beschreibung ist weit hergeholt und für die dargestellte Situation ziemlich hoch angesetzt. Als wie möglich oder unmöglich kann eine Beziehung nach diesem One-Night-Stand zwischen der Adligen und dem Diener denn schon bewertet werden, da fehlt doch sämtliche Tiefe in der Handlung. Und gesellschaftliche Unterschiede als Hindernis für die Liebe zum Thema zu machen, das haben z.B. Stolz und Vorurteil oder Salz auf unserer Haut wesentlich besser und glaubwürdiger hinbekommen. Pretty Woman sogar ebenfalls in nur unter 2 Stunden visueller Veranschaulichung.

Als Fazit kann ich nur noch einmal betonen, dass ich das Stück selbst für unglaubwürdig und gerade deswegen einfach nicht gut fand. Es war nicht die Sache der Inszenierung oder der Schauspieler, da gab es nichts auszusetzen, in der Vorlage war in meinen Augen der Wurm drin.

Da Fräulein Julie aber ansonsten ziemlich gute Kritiken bekommen hat, relativ erfolgreich ist und oft gespielt wird, nehme ich an, dass ich mit meiner Enttäuschung eher alleine dastehe. Nun, das macht absolut nichts.

Randnotiz

August Strindberg war auch als Maler und Fotograf tätig, allerdings hat mich auch bei diesen Werken (zumindest bei denen, die im Internet zu finden sind) nichts wirklich begeistert. Lieber Herr Strindberg, wir werden keine Freunde. Aber er verfasste 1877 eine durchaus witzige Anweisung, um in 60 Minuten Kunstkenner zu werden:

Genial, grandios, gigantisch, grotesk. Das erstgenannte Wort ist gut anwendbar, im Besonderen wenn der Maler in der Nähe steht, so dass er es hören kann. Die anderen Bezeichnungen eignen sich für Darstellungen von Stürmen, düsteren Alpenszenen, Bergschluchten, und allgemein für alle Formate, die zehn Fuß Breite und sechs Fuß Höhe übersteigen.

Photo © Lalo Jodlbauer

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