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Antigone

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Theaterstück von Bodo Wartke mit Melanie Haupt im Potsdamer Nikolaisaal.


Siehe auch: Antigone


Handlung

Antigone ist im Original eine Tragödie von Sophokles und knüpft an die Geschehnisse rund um Ödipus an. Die Vorgeschichte: König Ödipus ist verflucht, blind, entscheidet sich für Verbannung aus seinem Königreich Theben und zieht mit dem ebenfalls blinden Seher Theiresias durch das Land. Seine Söhne Polyneikes und Eteokles sollen sich jährlich bei der Herrschaft abwechseln, Eteokles will nach einem Jahr die Krone aber nicht abgeben, Polyneikes rächt sich daraufhin an seinem Bruder, indem er Thebens Feinde vereint und die Stadt angreift. Beide sterben.

Kreon, Ödipus‘ Schwager und nun König von Theben verbietet die Bestattung des Verräters Polyneikes, weil der den Krieg angezettelt hat. Antigone – die Schwester des Toten und Kreon Nichte – will ihren Bruder nicht gegen den Willen der Götter unbestattet lassen und lässt sich erwischen, wie sie Erde auf seinen Körper schaufelt. In einem sehr spannenden und zumindest aus der Vorlage von Sophokles relativ berühmten Dialog verteidigt Antigone ihr Handeln gegenüber dem Staatsgesetz ihres Onkels. Dieser will sich als starker Herrscher beweisen und verurteilt sie zum Tod. Zu allem Übel ist Antigone die Verlobte seines Sohnes Haimon (ihr Cousins), der seinen Vater nicht umstimmen kann. Es kommt auch da zum Bruch zwischen Vater und Sohn. Kreon lässt Antigone in einen Felsen einschließen, wo sie sterben soll.

KREON: Nun, ich werde befehlen, dass sie am Stadtrand in einer der Felsenhöhlen, in die sich nur selten ein Mensch verirrt, bei lebendigem Leibe eingemauert wird. Dort drinnen mag sie sich besinnen und den Gott des Todes, den sie so verehrt, beschwören, auf dass er sie erhört!

Als nächstes tritt der Theiresias wieder auf, der Kreon warnt, dass das Volk ungehalten ist, es kommt auch hier zum Streit. Zu guter Letzt befragt Kreon die Priester und lässt sich schließlich umstimmen – er eilt zu Antigone Felsengefängnis, aber zu spät. Diese hat sich dort erhängt, ihr Verlobter und Kreon Sohn Haimon kam zu spät zur Befreiungsaktion und tötet daraufhin sich selbst. Zu guter Letzte tötet sich auch noch Kreon Frau, die ihn als Kindermörder bezichtigt (zurecht). Ende.

Kritik

Wer wissen möchte, was ich von dem Stoff an sich halte (Spoiler: sehr viel), kann sich den älteren Artikel über eine andere Antigone-Aufführung anschauen.

Ich behaupte einfach mal knallhart, dass beinahe jeder, der diese Antigone besucht, schon den Vorgänger Ödipus von Bodo Wartke gesehen hat. Dies ist ein perfektes Meisterwerk tragisch-komödiantischen Theaters mit Genialität, Witz und Spannung. Daran muss sich jedes ähnliche Werk von Bodo automatisch messen. Änderungen und Neuerungen werden äußerst kritisch beäugt, und so ist es natürlich auch gewesen. Eine ganz große Änderung, die den Geniestreich von Bodo Wartke schon von Beginn an etwas abschwächt, ist seine Mitspielerin Melanie Haupt. Nein, Melanie Haupt ist nicht schlecht, sie ist im Gegenteil sehr gut – als Künstlerin, Sängerin, Schauspielerin, sie weiß sich auf der Bühne zu behaupten.

KREON: Denn die Leute denken leider stets in absoluten, kleingeistigen Schwarz-Weiß-Kategorien,

statt ein differenziertes Bild in Erwägung zu ziehen.

Du weißt doch, die Leute sind blind und verstockt

und ha’m für alles immer gerne einen Sündenbock.

Das, was sie zusammenschweißt und vereint,

ist eine einhellige Meinung und ein gemeinsamer Feind. Nach allem, was Theben durchgemacht hat,

ist Einigkeit das Beste für die Bürger unserer Stadt.

Also gebe ich ihnen, was sie wollen und mache es publik. ANTIGONE: Das ist total verlogen! KREON: Das ist Politik.

Aber das Geniale und Beste an Bodo Wartkes Theaterstück war bei Ödipus schlicht die Tatsache, dass er ganz allein sämtliche Rollen gespielt hat. Allein durch die Position des Basecaps auf seinem Kopf und mit Hilfe sämtlicher verbaler und nonverbaler Kommunikationsmitteln hat er etwa 10 Personen dargestellt und ganz allein die atemberaubende Geschichte des Königs von Theben gespielt, der unwissentlich seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet. Bei Antigone teilt er sich die – nun zugegeben doppelte – Personenzahl mit Melanie Haupt. Leider bekommt der Wow-Effekt dadurch einen kleinen Kratzer. Während Bodo Wartkes Darstellung diverser Frauengestalten extrem gut ist, übertreibt Melanie Haupt ihrerseits die Männerfiguren ein wenig. Nicht zuletzt spielt sie Theseus, den König von Athen, dem Ödipus einen Besuch abstattet.

THESEUS: Seid gegrüßt, Thebaner! Willkommen auf Kolonos! Oder wie wir Griechen sagen: Willkommos!

An der Stelle muss ich meinen Hut ziehen, dass neben der Geschichte von Antigone soviel weiteres Material verarbeitet wurde: Ödipus auf Kolonos, die Heldentaten des Theseus, natürlich auch nochmal kurz die Vorgeschichte von Ödipus.

Zurück zu Melanie Haupt: Theseus, König von Athen, ist eine ihrer Figuren und wie viele der männlichen Figuren spielt sie zu extrem, etwas übertrieben. Die sanfte, ganz unterschwellige Feminität, die Bodo Wartke als Ismene zum Beispiel an den Tag legen kann, ist viel angenehmer und glaubhafter als Melanies allzu männliches Gebaren. Der Teil um Theseus ist ziemlich ausführlich, seine Heldentaten werden besungen, Melanie Haupt macht Stepptanz, Musicalmoves, Ballett, beatboxt dann auch…. war etwas viel. Warum? Um zu zeigen, was sie alles kann? Aber sie kann wirklich viel und ist gesanglich sehr stark. Ich fand nur ihre Talente nicht richtig dosiert eingesetzt.

Wie gesagt, Änderungen sind nicht unbedingt was Gutes, das zeigt sich hier auch an zwei wunderbaren Figuren: Der blinde Theiresias, eine der besten Gestalten, von Bodo Wartke hier genau so gespielt wie auch in Ödipus, mit seinen guten alten Witzen. Standardspruch von Teiresias: Buenos Dias. Ist klar, nicht? Why change, if perfect…. Das Orakel von Delphi hingegen war im Vorgängerwerk ebenso perfekt – ein bisschen schielend, ein bisschen gemein, ein bisschen nervig.

ÖDIPUS: Moment mal – das ist das Orakel?

TEIRESIAS: Sehr charakterstark, gell?

ÖDIPUS: Ich hatte es ganz anders in Erinnerung behalten.

TEIRESIAS: Das Orakel erscheint in vielen Formen und Gestalten.

Hier bei Antigone übernimmt Melanie und macht aus dem Orakel eine laszive, plärrende Kreatur, mit der ich mich so gar nicht anfreunden wollte. Ich habe das „echte“ Orakel vermisst. Nachdem Bodo in allen seinen Rollen glänzt, macht Melanie Haupt zumindest als Antigone eine richtig gute Figur – ich sehe sie lieber in den ernsthafteren Passagen, als Komödiantin neigt sie leicht zur Übertreibung.

Textlich ist das Stück natürlich wieder Weltklasse. Genau die richtige Mischung aus moderner Sprache, perfekt gesetzten Reimen, noch perfekteren Wortspielereien und sowohl geistreichem als auch albernem Witz. Ein-zweimal wurde es auch ein wenig zu albern, aber darüber kann man hinwegsehen. Kaum etwas schafft es mit mehr Zitaten in meine Zitatesammlung als Antigone – in Sachen origineller Reimkunst übertrifft es Ödipus vielleicht sogar ein kleines bisschen.

Randnotiz

Wer sich den Text in Buchform kauft, erwirbt etwa nochmal die gleiche Menge Text und Wissen in Form eines wirklich tollen Glossars, in dem geschätzt über 100 Begriffe und Wendungen aus dem Text näher erläutert werden. Teilweise findet man auch sehr interessantes Hintergrundwissen zu ganz simplen Worten wie Angst oder kleine Schwester. Es lohnt sich wirklich, da hineinzuschmökern, auch weil man viele Anspielungen auf zeitgenössische Texte, Filme, Personen… gar nicht sofort erkennt.

Zum Schluss der ganz kurze Eintrag zum Stichwort Aus die Maus!:

Wenn eine Sache zu Ende geht oder für beendet erklärt wird, passt auch: Schluss im Bus, Endegelände, Schicht im Schacht, Daddeldu, Sense.

Photo © Michael Hochgemuth

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