Startseite » Sweeney Todd

Sweeney Todd

  • von

Horror-Musical von Stephen Sondheim in der Volksoper.

Handlung

Attend the tale of Sweeny Todd. His skin was pale and his eye was odd. He shaved the faces of gentlemen Who never thereafter were heard of again. He trod a path that few have trod, Did Sweeny Todd, The Demon Barber of Fleet Street

Das fast durchweg gesungene Stück spielt im London des 19. Jh. Der Barbier Benjamin Barker erlebt die schreckliche Willkür des Gesetzes: Der Richter Turpin schickt ihn in die Verbannung, weil er seine hübsche Frau Lucy begehrt. Die junge Familie hat auch schon eine Tochter, Johanna.

There was a barber and his wife
and she was beautiful, and she was virtuous.
And he was naive

Nach 15 Jahren kehrt der ehemalige Barbier zurück und schwört Rache, nachdem er von der Pastetenbäckerin Mrs. Lovett erfährt, dass seine Frau sich vergiftet hat und seine Tochter in der Obhut des Richters ist. Benjamin Barker, der sich von nun an Sweeney Todd nennt, nimmt sein Geschäft wieder auf und erweist sich als Künstler mit dem Messer. Er sinnt einzig auf Rache und wartet, dass der Richter in seinen Salon kommen möge. Nebenbei verliebt sich der junge Matrose Anthony unsterblich in Johanna, die er am Fenster erblickt hat. Da er zufällig der junge Mann ist, der Benjamin Barker/Sweeney Todd bei seiner Rückkehr aus der Verbannung aus dem Meer gefischt und mit zurück nach London gebracht hat, schuldet ihm dieser einen Gefallen. Zufällig trifft es sich, dass Anthony bereits auf der Treppe lautstark seine Pläne ankündigt, Johanna aus des Richters Arm (der seine Ziehtochter zu heiraten gedenkt) zu befreien und mit ihr zu fliehen und sie für ein paar Stunden bei Sweeney Todd zu verstecken. Dummerweise ist bei dem gerade der Richter Turpin höchstpersönlich zu Besuch, um sich für seine Brautwerbung rasieren zu lassen. Als er hört, dass Sweeney Todd mit dem Mann im Bunde steht, der sein Mündel entführen will, verlässt er den Salon, ohne dass Todd ihm die Kehle aufschlitzen kann. Der Richter schwört, nie wieder zu kommen und Todd sieht seine Chance auf Rache schwinden. Der wird dadurch richtig wütend und das Mordgeschäft geht erst richtig los. And I will get him back even as he gloats In the meantime I’ll practice on less honorable throats. Anstelle der Rache am Richte metzelt Todd alle anderen Männer nieder, die sich allein auf seinen Frisierstuhl setzen.

They all deserve to die.
Even you, Mrs. Lovett, even I.
Because the lives of the wicked should be made brief
For the rest of us death will be a relief
We all deserve to die.

Das hat einen ganz praktischen Grund. Mit dem Fleisch der Toten werden Pasteten hergestellt, die Mrs. Lovett in ihrem Laden unter dem Barbiersalon verkauft. Das Geschäft blüht wieder auf, nachdem die Dame lange Zeit aufgrund hoher Fleischpreise kaum Erfolg hatte.

It’s fop.
Finest in the shop.
And we have some shepherd’s pie peppered
With actual shepherd on top!

Letztendlich kommt es zu einigen Verwirrungen, die zu erklären jetzt sehr langwierig wäre. Es endet damit, dass Todd letztendlich zu seiner Rache kommt und dem Richter die Kehle durchschneiden kann, aber tragischerweise tötet er auch seine ehemalige Frau Lucy. Diese huscht das ganze Stück hindurch als um Almosen bettelnde, verwirrte Obdachlose immer wieder durch das Bild. Mrs. Lovett hatte zwar Recht behalten, dass sie Gift genommen hat, aber Sweeney Todd aus Liebe zu ihm verschwiegen, dass sie es überlebt hat. Nun, letztendlich hat Todd auch sie niedergemetzelt, erst zu spät erkennt er sie als seine Frau Lucy wieder. Mit dieser Erkenntnis wächst seine Wut auf Mrs. Lovett ins Unermessliche, weil sie ihm das Überleben seiner Frau verschwiegen hat, sodass er sie kurzerhand in den Ofen wirft, wo sie bei lebendigem Leib verbrennt. Das Schauermärchen ist noch nicht ganz vorbei: Toby, der Dienstjunge von Mrs. Lovett, der ihr ganz besonders zugeneigt ist und in ihr eine Mutter gesehen hat, rächt deren Tod, indem er zu guter Letzt Sweeney Todd selbst tötet. Das Stück endet mit einem Blick auf Todd, der die tote Lucy in seinen Armen haltend langsam verblutet. Die Ballade von Sweeney Todd schließt den Rahmen wieder (das Lied hat das Stück auch eröffnet und hat rein gar nichts von einer Ballade).

He never forgot
and he never forgave.
Not Sweeney Todd…
The Demon barber of Fleet Street

In der Inhaltsangabe sind nicht alle Personen und Szenen genannt, es gäbe noch mehr zu erzählen, aber wer über den Haupthandlungsstrang hinaus wissen will, was noch so passiert, muss es anderswo nachlesen.

Kritik

Nun, das Musical in der Volksoper hatte einer schweren Last entgegenzuwirken. Im deutschsprachigen Raum ist der teuflische Barbier aus der Fleet Street den meisten durch den Film bekannt, der 2008 in den Kinos lief. Johnny Depp als Sweeney Todd und Helena Bonham Carter als Mrs. Lovett, dazu Alan Rickman als Richter unter der Regie von Tim Burton – bei dieser traumhaften Kombination war es kein Wunder, dass der Film bei den meisten Zuschauern als echter Erfolg gefeiert wurde. Schon allein die Besetzung ließ auch mich den Film mögen, eher lieben! Bonus: Die Darsteller singen selbst, natürlich englisch. Mit dieser Version der “tiefschwarzen Operette”, wie Stephen Sondheim sein Werk selbst nennt, bin ich also in die Volksoper gegangen. Ziemlich gefährlich, weil man natürlich erwartet, dass die Vorführung natürlich mindestens genauso gut ist, was sie aber kaum sein kann, wenn man einen seiner Lieblingsfilme schon so oft gesehen hat, dass man die Lieder mitsingen kann und jede Abweichung von der präferierten Interpretation sofort bemerkt. Ganz schlimm für mich war die Tatsache, dass ich die Songs auf Deutsch hören musste. Natürlich war das zu erwarten, aber es war deutlich zu hören, dass die Texte definitiv für die englische Sprache gemacht sind. Manches klingt im Deutschen einfach holprig. Z.B. das überaus amüsante und makabere Lied “A Little Priest”, in dem Todd und Mrs. Lovett im Walzerschritt über die Geschmäcker der verschiedenen Personen wie Seemänner, Dichter, Beamten etc. als zukünftige Pasteten sinnieren. Im Deutschen? “Ein Stück Prälat”… naja. Das Stück beginnt mit Orgel. “Dies irae” und man kann sich gleich von Beginn an auf das Thema einstellen. Vergeltung, Zorn, Blut. Mal im Hintergrund, mal ziemlich deutlich, auf jeden Fall omnipräsent. Nichts also, womit sich der durchschnittliche Bürger identifizieren könnte. Was hebt Sweeney Todd aus der Masse der Musicals hervor? Möglicherweise, dass es einige typischen Klischees des Genres nicht bedient. Zum Beispiel ist die Love Story eine Nebenhandlung und DAS Liebeslied schlechthin gibt es nicht. Das einzige Duett zwischen Anthony und Johanna ist hastig und sehr unromantisch. Nicht, dass es keine rührenden Balladen gäbe – ganz wundervolle sogar, in denen meist die singenden Personen jeweils etwas völlig anderes besingen. “My Friends” ist ein echtes Liebeslied. Nur singt da Sweeney Todd von seiner Zuneigung zu seinen silbernen Rasierklingen und hört gar nicht zu, wie Mrs. Lovett ihn anschmachtet. Das gesamte Song-Repertoire in Sweeney Todd ist sehr vielfältig, aber selbst bei den süßen, klaren Dur-Melodien hört man im Hintergrund immer diesen gewisse gefährliche Unterton. Das Blut tropft in musikalischer Hinsicht fast ununterbrochen. Klassische Ohrwürmer oder DEN Sweeney Todd-Song (quasi wie “Memory” in Catsoder “Summer Nights” in Grease) gibt es nicht, vielleicht auch eine Besonderheit dieses Musicals? Es ist unheimlich schwer, im Barbier des Grauens nach der Film-Version nicht Johnny Depp sehen zu wollen. Der Sweeney in der Volksoper hatte irgendwie Stil. Entgegengesetzt der Rollenbiographie, nachdem er aus 15 Jahre Gefangenschaft zurückkehrt und von Entbehrungen und Hass gezeichnet sein müsste, ist Marco Di Sapia ein feiner Mann. Wenn man davon absieht, dass er einen rachsüchtigen Mörder spielt. Er ist nicht heruntergekommen und wirr, sondern feingliedrig und sicher, fast anmutig. Dazu kommt die kräftige Stimme. Marco Di Sapia ist Opernsänger und dürfte keine Probleme mit dem gesanglichen Part gehabt haben. Er hat der Figur doch einen ganz individuellen Touch geben können, dafür gebe ich ihm einen so großen Pluspunkt, dass ich darüber hinwegsehen kann, dass er nicht Johnny Depp ist. Besonders viel schauspielerische Begabung muss er nicht haben, denn meistens überdeckt das viele Kunstblut, was aus den Hälsen der Opfer spritzt (und das muss auch sein, ohne diese Effekte wäre Sweeney Todd ein Witz), die Kunst des Schauspielens. Dafür müssen es die anderen umso mehr können. Die Frauen in der Produktion haben mich etwas enttäuscht. Anita Götz in der Rolle der schönen, anmutigen Johanna war etwas dümmlich und wirkte eher wie eine Landpomeranze. Sie hat genervt und ihre Nebenrolle (ich halte sie für eine Nebenrolle, auch wenn man das auch anders sehen kann) fast karikiert, Fehlbesetzung. Die Rolle der Mrs. Lovett ist überaus wichtig, sie ist beinahe durchgängig auf der Bühne und bildet mit Sweeney Todd ein Team. Vielleicht liegt es an dessen ausgesprochen guter Präsentation, dass Dagmar Hellberg als Mrs. Lovett eher im Schatten stand. Sie war nicht schlecht, hat sich Mühe gegeben, aber sie war einfach keine überzeugende Frau mit Hinterlist, Egoismus und genug Skrupel, um Menschenfleisch zu Pasteten zu verarbeiten. Eine Frau allerdings, die man im Laufe der Vorführung kaum beachtet und erst zum Schluss richtig wahrnimmt, die aber immer wieder über die Bühne springt, ist noch lobenswert zu erwähnen: Patricia Nessy als die Bettlerin bzw. Todds Frau Lucy. Sie war gut, nur hat ihre Rolle leider nur einen kleinen Anteil im Stück. Aber als sie kurz vor ihrer Hinrichtung durch die Hand ihres Mannes, der sie nicht erkennt, diesen mit schmächtigem Blick und zitternden Augen ansieht und flüstert “Kenne ich Euch nicht, Sir?”, ist das ihr Moment. Und auch einer der wenigen Momente, in denen man mitfühlt. Ansonsten bleibt kaum Zeit und Raum für Mitgefühl. Das Stück ist wertlos als moralischer Zeigefinger, sodass man nicht in Versuchung gerät, sich emotional angreifen zu lassen. Die Liebesgeschichte ist zu nebensächlich, als dass sie rühren könnte. Fast alle anderen sind am Ende tot, wen davon sollte man bemitleiden? Lucy ist wahrhaftig die Einzige, um die es einem am Ende leid tut, nur wird ihr Charakter leider viel zu wenig ausgebaut, sodass man sie nicht kennen lernen konnte. Es gibt keine Moral, vll. klingt das Thema Unterdrückung und Willkür hin und wieder an wie auch in der hübschen Textzeile

The history of the world, my love –
Is those below serving those up above!
How gratifying for once to know
That those above will serve those down below!

Aber wohlgemerkt: es geht hier darum, dass zum Ausgleich für diese Ungerechtigkeit die Menschen in Pastetenform serviert werden sollen. Ich finde, das relativiert die leicht angedeutete ernste Kritik wieder. Letztendlich schüttelt man sich entweder vor Lachen oder einem stehen die Haare zu Berge, manche fürchten sich, manche bekommen Gänsehaut. Oder alles gleichzeitig. Aber prinzipiell kann sich jeder das Stück anschauen, ohne Alpträume zu bekommen. Man wird als Zuschauer auch zu Beginn gründlich vorbereitet. Diese Zeile kommt immer wieder vor, uns wird genau gesagt: Wir erzählen euch eine Geschichte. Warum ist Sweeney Todd  einfach so gut? Weil es wie ein kniffliges Rätsel bis in viele Details durchkonstruiert ist. Die Handlung hat viele Schlaufen und Abzweigungen, aber läuft um einen perfekten gebauten Plan herum. Das Stück ist nicht einfach “nur” mit kreativem Herzblut geschrieben und komponiert worden, sondern auch mit Köpfchen, Detailliebe, Präzision und unbestechlicher Logik. Diese grandiose Mischung aus Leidenschaft und Logik zeigte sich auch im Bühnenbild. Ganz genial. Das Stück spielt im schmuddeligen London, es wäre ein leichtes, Londons verlassene Straßen düster auf der Bühne zu inszenieren, einen kargen Friseursalon sowieso. Aber nein. In der Volksoper ist es, als befänden wir uns im Inneren einer Maschine. Regisseur Matthias Davids:

“Die Idee kam uns bei der Textzeile “…like a perfect machine he planned”. Wenn Sweeney sich einmal entschlossen hat, arbeitet er wie eine unaufhaltsame Tötungsmaschine. Eine gefährliche Maschine, ein kompliziertes Konstrukt, durch das alle Figuren miteinander verbunden sind. Mathias [Fischer, Bühnenbildner] hat Bücher gewälzt und einen Querschnitt entworfen (…) mit Schnittflächen, die im Maschinenbau rot gekennzeichnet werden und dadurch wie offene Wunden aussehen.”

Natürlich kein Happy End. Das geht auch gar nicht, ein glückliches Ende würde Sweeney Todd nicht gut bekommen.

Randnotiz

Es gäbe noch so viel über Sweeney Todd zu schreiben…. Das ist ein Stück, welches es verdient, dass man ihm zuliebe das Musical-Genre vom Vorurteile der “seichten Unterhaltungsmusik” befreit! Da stimme ich mit dem Dramaturgen Christoph Wagner-Trenkwitz überein, der ein hervorragendes Gespräch mit dem Regisseur und dem Dirigenten von Sweeney Todd an der Wiener Volksoper geführt hat. Vollständig im Programmheft nachzulesen, sehr inspirierend und interessant! Ich verleihe (!) es gerne einmal.

Photo © Orf.at