Handlung
“Spatz und Engel” erzählt die Freundschaft/Liebesgeschichte zweier sehr unterschiedlicher Frauen des 20. Jahrhunderts. Die eine ist Deutsche aus einem gutbürgerlichen Haushalt, hat aber als Sängerin und Schauspielerin recht schnell auch die amerikanischen Herzen erobert, 1931 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie wandte sich dem nationalsozialistischen Deutschland ab und leistete ihren Beitrag im Krieg als Sängerin der amerikanischen Truppenbetreuung.
Wenn man schöne Beine behalten will, muss man sie von den Blicken der Männer massieren lassen. (Marlene Dietrich)
Man kennt Marlene Dietrich aus dem “Blauen Engel”, als Trendsetter von Hosenanzügen, als endlos lange Beine, als unkonventionelle tiefe, rauchige Singstimme, als Verräterin der Deutschen, als Femme Fatal, als Diva, als die “kühle Blonde” schlechthin.
Jedes Mal, wenn sie singt, meint man, sie risse sich endgültig die Seele aus dem Leib. (Jean Cocteau)
Edith Piaf starb mit nur 48 Jahren, Marlene Dietrich wurde über 90 Jahre alt.
Das Stück im Burgtheater erzählt jedoch nicht die kompletten Lebensgeschichten der beiden Frauen, sondern konzentriert sich auf das Verhältnis der beiden und beginnt erst, als die beiden sich in New York kennen lernen.
Aus der gegenseitigen Bewunderung wird schnell eine tiefe Freundschaft bis hin zu einer Art Liebesbeziehung (Marlene Dietrich war bisexuell).
In dem Fall ziehen sich Gegensätze an. Die mondäne Marlene aus gutbürgerlichem Haus, groß und attraktiv, kontrolliert, kühl, charmant. Edith klein und unscheinbar, in einem Bordell aufgewachsen, leidenschaftlich und unbändig, tollpatschig. Wie auch immer sie sich die Beziehung der beiden Frauen im Detail gestaltete – die Inszenierung von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry zeigt sie auf jeden Falls als äußerst intensiv.
Marlene Dietrich ist die disziplinierte, ältere Freundin, die der jüngeren Edith zeigt, wie man sein Leben und vor allem die Karriere in die Hand nimmt. Marlene versucht, ihre Freundin zu beschützen, zu trösten, immer wieder spürt man aber auch, dass sie selbst stark auf die Liebe und Zuneigung des kleinen Spatzes angewiesen ist. Marlene ist eifersüchtig auf die Männer in Ediths Leben, ist zu Tränen gerührt von deren Notiz “Marlene, vergiss nie, dass ich Dich liebe” und das, obwohl Marlene Dietrich quasi nie Gefühle zeigt. Sie ist enttäuscht, als Edith Piaf sich immer mehr dem Alkohol, Medikamenten und ihren Männern zuwendet und ihre Freundin nach wochenlanger Funkstille und mehreren verpassten Verabredungen und Proben auf einer Silvesterfeier auftaucht. Ein heftiger Streit entlädt sich zwischen der kontrollierten Blondine und ihrer betrunkenen Freundin, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Marlene kündigt die Freundschaft.
Es ist nicht klar, ob die Freundschaft für beide Frauen tatsächlich derart prägend war, wie sie auf der Bühne des Burgtheaters dargestellt wurde, obwohl im Programmheft vermerkt ist, dass die Begebenheiten ausführlich recherchiert seien. Die Formulierung “beruht auf wahren Begebenheiten” ist weit interpretierbar. Doch tut es meiner Meinung nach nicht viel zur Sache. Seit wann muss das Theater die Wahrheit historisch einwandfrei abbilden? Ob wirklich passiert oder nicht, jedenfalls ist es ein schöner Moment, als am Schluss beide zufällig am selben Veranstaltungsort auftreten und sich nach langer Zeit versöhnen. Zwei der bekanntesten Hits rühren letztendlich auch den gleichgültigsten Zuschauer zu Tränen: Edith Piaf mit Je ne regrette rien und Marlene Dietrich singt La vie en rose, ein Lied, dass Edith Piaf “ihr geschenkt hat”.
Edith, das waren hundert Widersprüche in einer Person. (Charles Aznavour)
Eine Rückblende auf das Leben, ihre Freundschaft und einige klugen Sprüche bilden den letzten Dialog – Edith Piaf ist bereits tot und spricht quasi als Erinnerung zu der 90-jährigen Marlene, die in Gedanken, Erinnerung und Traurigkeit versunken auf der Couch ihre letzten Wochen allein verbringt.
Kritik
Ich liebe Marlene Dietrich. Edith Piaf ist gut, ich kenne nicht viel von ihr bis auf die bekanntesten Lieder, aber Marlene Dietrich hätte ich schrecklich gerne live erlebt. Dafür bin ich zu spät geboren, aber der Abend im Burgtheater hat mir Marlene Dietrich ein Stück näher gebracht.
She has sex, but no particular gender. (Kenneth Tynan)
Sona MacDonald hat die einzigartige Diva sehr überzeugend dargestellt, Maria Happel als Edith Piaf ebenfalls sehr gut. Es war, als wären beide Frauen für einen Abend wieder lebendig. Die Songs (jeweils ca. 10 Lieder) waren clever und passend eingefügt, nicht aufdringlich. Natürlich sind die Originale unübertroffen, aber beide Sängerinnen haben sich wahrlich die größte Mühe gegeben, so gut wie möglich ihren Vorbildern zu entsprechen. Es war erstaunlich, ich hätte niemandem zugetraut, Marlene Dietrich nachahmen zu können. Sie ist in ihrer Stimme einzigartig, aber Sona MacDonald hat wirklich Erstaunliches geleistet. Sie sieht ihr sogar ähnlich. Maria Happel hat mindestens zwei umwerfende Darbietungen gebracht mit Mon Dieu und natürlich Je ne regrette rien. Alles in allem glaube ich, dass die Realität der beiden Frauen, die auf die Bühne gehörten, ziemlich gut in den beiden Schauspielerinnen verkörpert wurde: Edith Piaf war die bessere Sängerin, Marlene Dietrich eine bessere Schauspielerin und faszinierendere Gesamterscheinung.
Ich kann nicht singen. Also muss das, was ich trage, eine Sensation sein. (Marlene Dietrich)
Edith Piaf hat Tränen in den Augen, zeigt Gefühle, ist launenhaft, Marlene Dietrich hat beinahe immer den selben Gesichtsausdruck.
Aber auch, wer nicht gekommen ist, um Lieder von Marlene Dietrich und/oder Edith Piaf zu hören, ist wohl auf seine Kosten gekommen. Alle anderen Personen (Männer, Sekretäre, Manager…) waren zwar eher überflüssig, aber auch abseits der Songs sind die Dialoge und Szenen gelungen: unterhaltsam, gefühlvoll und präzise erarbeitet. Es war klar ersichtlich, dass sich die Autoren gründlich und klug überlegt haben, welche Details der Handlung herausgearbeitet werden müssen und welche Abschnitte weniger wichtig sind. In den zwei Stunden, die immerhin zur Hälfte aus Liedern bestanden, erfuhr man in der Tat viel über das Wesen, Leben und die Beziehung dieser beiden erstaunlichen Frauen. Das ist schon eine große Leistung. Aber die größten Leistungen des Abends liegen meines Erachtens eindeutig bei den beiden Hauptdarstellerinnen.
Ich wage zu behaupten, es war eben genau deshalb so gut, weil beide sehr sehr nah an ihre Vorbilder herangekommen sind und diese beiden haben ja nun wirklich auf die Bühne gehört. Eine Marlene Dietrich und eine Edith Piaf an einem Abend – das kann schwer schief gehen!
Ich kam mir bei Edith vor wie die Cousine vom Land. (Marlene Dietrich über den Männerverschleiß bei Edith Piaf)
Randnotiz:
Der Regisseur Maximilan Schell, der erst vor kurzem verstorben ist, erinnert sich an Marlene Dietrich, über die er auch den Dokumentarfilm Marlene drehte. Der gesamte Artikel ist sehr empfehlenswert und hier nachzulesen.
Im Artikel wird Marlene Dietrichs Lieblingsgedicht angesprochen, welches ich selber auch sehr gut finde, deswegen landet es hier:
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!
Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb’!
Und mach’ ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, –
Der andre aber geht und klagt.
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
– Sie sehn den andern nimmermehr –
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
Und sprichst: O schau’ auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab’!
O Gott, es war nicht bös gemeint!
Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!
Er tat’s, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort –
Doch still – er ruht, er ist am Ziel!
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Ferdinand Freiligrath
Photo © APA/Reinhard Werner/Burgtheater